Kulturfreitag der VHS: Picasso – Leben und Wirken

von Birgit Hannemann

Foto von Picasso; vhs
Foto von Picasso; vhs

Picasso – Jahrhundertkünstler aus Spanien

Im vergangenen Jahr jährte sich der Todestag des spanischen Künstlers zum 50-sten Mal und wurde von vielen Ausstellungen im In- und Ausland begleitet. Am Kulturfreitag würdigte jetzt auch die VHS den vielseitigen Künstler mit einem Referat von Prof. Dr. Helmut Jacobs. Der Romanist, kein Unbekannter, da regelmäßiger Referent an der VHS, hat in seiner aktiven Universitätszeit auch zu Picasso geforscht und zog die zahlreich erschienenen Besucher mit einem Vortrag über „Picassos Leben und Wirken“ in seinen Bann. Wie immer begleitete Prof. Jacobs seinen Vortrag live auf dem Akkordeon und startete das Thema mit einem Tango von Astor Piazolla, passenderweise mit dem Titel „Picasso“. Und in der Tat, zu Picasso, dem Malergenie des 20. Jahrhunderts, ist noch lange nicht alles gesagt und der Blick auf seine künstlerische Entwicklung und seine Biografie eröffnete neue Perspektiven.
Picasso, 1881 in Málaga geboren, wuchs in einer aufregenden Zeit auf, denn 1898 veränderte sich viel. Das Königreich Spanien musste sich nach der Niederlage gegen die USA und dem Verlust der Übersee-Kolonien mit reduzierten Machtverhältnissen auseinandersetzen. Diese Zäsur ging kulturell als España Negra in die Geschichte ein. Als Gegenpol dazu gab es das España Blanca, vertreten u.a. durch die Künstler Joaquin Sorolla (1863-1923, einem Maler des Impressionismus und Luminismus), Ignacio Zuloaga (1870–1945, Maler des sozialen Realismus), von dem auch die El Greco Renaissance ausging, die großen Einfluss auf die Moderne hatte und drittens von Hermenegildo (1871-1959), einem katalanisch-spanischen Maler.
In dieser Zeit wuchs Picasso auf, der später viele Kunstbereiche in sich vereinte und berühmt wurde für seine außergewöhnliche Vielseitigkeit. Sein umfangreiches Gesamtwerk umfasst Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Collagen, Plakate und Keramiken. Unterstützt von seinem Vater, einem freischaffenden Künstler und Lehrer, wagte er sich früh ans Malen. Prof. Jacobs zeigte mit „Der kleine Picador“ von 1890 - da war Picasso gerade einmal 9 Jahre alt - und „Barfüßiges Mädchen“ von 1895 - da war er 14 Jahre alt – sowie „Lola als Kommunionskind“ von 1894 (ein Bildnis seiner Schwester) auch ein Selbstportrait von 1896 und damit ein paar Frühstwerke, an denen schon deutlich Picassos Talent zu erkennen ist.
Die größte Entdeckung für den jugendlichen Picasso war der Prado in Madrid. Dort schloss er Freundschaft mit dem Argentinier Francisco Bernareggi (1879–1959) und ihre gemeinsamen Studien bestanden im Finden und Kopieren. Das Malen des jeweils anderen wurde thematisiert und sie beflügelten einander. Das Bild „Bien tirada está“ von Goya z.B. wurde aus Studienzwecken von Picasso kopiert. Bernareggi und Picasso entwickelten sich später aber vollkommen anders. Bernareggi zog es nach Mallorca und wurde ein geschätzter Landschaftsmaler, Picasso zog es nach Paris.
In Paris folgte von 1901-1904 Picassos sogenannte „Blaue Periode“. Er malte monochromatische Bilder in Blau und Blaugrüntönen. Der Grund: Sein Freund Carlos Casagemas (1880–1901), mit dem er in Paris ein gemeinsames Atelier am Montmartre hatte, beging am 17.2.1901 Selbstmord. Von da an begann Picasso blau zu malen. Denn Blau gilt als Ausdruck von Schmerz und Trauer. Thematisch entstanden Bilder mit marginalisierten Menschen wie Bettlern, Blinden, Gebrechlichen. Ein Bild aus dieser Epoche heißt „El entierro de Casagemas/Die Beerdigung von Casagemas“, in dem die Gesichter als Flächen dargestellt werden, also nicht identifizierbar sind. Das Bild „La Vie“ von 1903 krönte später seine „Blaue Periode“ als das berühmteste Bild dieser Zeit, da ist er schon auf dem Weg zu malerischen Brüchen.
1905-1906 folgte Picassos Rosa Periode: Rückbesinnung auf das Leben, Leichtigkeit in der Darstellung, mit einem Hauch von Melancholie, das Blau weicht aber in den Hintergrund. Harlekine und Seiltänzer, traurige Spaßmacher, entlehnt der Commedia dell´Arte, zählen zu seinen Bildmotiven. Nachzuvollziehen z.B. in dem Bild „Die Gaukler“. Er malte es 1905, mit 24 Jahren und läutet damit den Kubismus ein. Dieses Bild beeindruckte den Dichter Rainer Maria Rilke so sehr, dass er auf die Fahrenden und Gaukler Bezug nimmt in seinen Duineser Elegien. – An dieser Stelle erfreute Prof. Jacobs das Publikum mit einer musikalischen Einlage und spielte passend dazu eine Zirkusmusik auf dem Akkordeon.
In einem seiner Hauptwerke „Les Demoiselles d´Avignon“ von 1907 legte Picasso den Grundstein kubistischen Denkens an. Dieses Bild wird als Wendepunkt in der Geschichte der abendländischen Malerei gesehen und leitet den Kubismus ein, es hängt heute im Museum of Modern Art in New York. Der Titel bezieht sich nicht auf die Stadt Avignon, sondern auf die Carrer d´Avinyó in Barcelona, die für ihre Bordelle bekannt war. Das Bild „Les Demoiselles d´Avignon“ zeigt die Reduzierung auf Grundformen durch Flächen und die Deformation der Körper. Picassos Anliegen war nicht der Bruch mit der Tradition, sondern die Zerstörung der Konvention.
Prof. Jacobs erklärte den Kubismus als eine Stilrichtung der Kunstgeschichte, die ab 1906 in Frankreich entstand und deren maßgebliche Gründer Picasso und Georges Braque waren. Man unterscheidet dabei zwei Phasen: Den analytischen und den synthetischen Kubismus. Der Kubismus erschuf eine neue Denkrichtung in der Kunst und griff auch auf die Bildhauerei über, so entstand die kubistische Plastik. Der Analytische Kubismus zerlegt konkrete Gegenstände in seine Einzelformen, z.B. mit Georges Braque „Krug mit Violine“ von 1910 und Picassos Bildnis des „Kunsthändlers Ambroise Vollard“ von 1910. Der Synthetische Kubismus zeigt nur noch geometrische Formen, die frei zu neuen Formen kreiert werden, z.B. Picassos „Bildnis von Fernande Olivie“ von 1909. Da es Prof. Jacobs immer auch wichtig ist, Frauen in der Kunst sichtbar zu machen, zeigte er in diesem Zusammenhang das Werk „Frau mit Fächer“ von Maria Blanchard (1881– 1932), einer Kollegin von Picasso, als Beispiel ihrer kubistischen Malerei. Als Höhepunkt des Kubismus gilt Picassos Darstellung einer Gruppe von 1921 „Musiciens au masques“ (Drei Musikanten) mit Figuren aus der Commedia dell´Arte.
Für die Zeit des Klassizismus (1916–1924) steht Picassos Bild „Die Panflöte“ von 1923. Es ist eine Zeit der Rückbesinnung auf Mythologien und zeichnet sich aus durch eine Hell-Dunkel-Gestaltung und eine dreidimensionale Körperlichkeit mit Farbflächen.
Zur Epoche des Surrealismus (1925–1936) zählt sein Bild „Die drei Tänzerinnen“ von 1925. Der Surrealismus zielt darauf ab, die rationale Vision des Lebens zugunsten einer Vision aus Träumen und Unterbewusstsein zu verankern. Die Künstler suchten nach dem Unkonventionellen. Der wichtigste Theoretiker dieser Zeit ist André Breton, Dichter und Schriftsteller. Das Gemälde bezieht sich vermutlich auf frühere Erlebnisse und Empfindungen zu seinem Freund Carlos Casagema, die ihm jetzt wieder ins Bewusstsein kamen.
Mit „Guerníca“ von 1937 präsentierte Prof. Jacobs wohl Picassos berühmtestes Bild. Eine Szene aus dem spanischen Bürgerkrieg als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt Guerníca durch den Luftangriff der deutschen Legion Condor, das Bild hängt heute in Madrid im Museo Reigna Sofia. Warum Guerníca? Die große Eiche im Zentrum der Stadt galt als wichtiges Symbol der Basken, das Zeichen steht für deren Unabhängigkeit. Die Stadt wurde bei dem Angriff in Schutt und Asche gelegt, allein die Eiche überlebte. Das Gemälde ist ein Antikriegsgemälde mit den Maßen 3,49 x 7,77 m. Picasso bemerkte dazu 1937: „Es ist mein Wunsch, daran zu erinnern, dass ein Künstler, der mit geistigen Werten lebt, angesichts eines Konfliktes, in dem die höchsten Werte der Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, sich nicht gleichgültig verhalten kann“. Rückblickend sagt man, dass die deutsche Legion Condor dort in Guerníca die großflächige Bombardierung ausprobierte, die sie später in Polen anwenden wollte. Guerníca war damit ein Wendepunkt in der strategischen Bedeutung der Terrorisierung der Zivilbevölkerung und Picasso bezog klar Stellung. Das Bild ging nach der Pariser Weltausstellung 1937 auf eine „Wanderausstellung“ durch Nordeuropa und die USA. Die Einnahmen aus den Ausstellungsgeldern spendete Picasso einer Stiftung für die Opfer des spanischen Bürgerkrieges. Die Personen sind kubistisch dargestellt. Es gibt mehrere christliche Darstellungsformen in dem Bild. Die sieben Flammen auf der rechten Seite symbolisieren die Feuersbrunst, die sich über Guerníca erstreckte und es vernichtete. Im komplexesten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, steht die 7 für die Apokalypse.
Das Spätwerk Picassos ist eine Rückbesinnung auf alte Meisterwerke, z.B. auf Diego Velásquez, dessen „Las Meninas“ er 1957 in einer Serie von 58 Gemälden neu interpretierte. Er verwendete in diesen Bildern auch wieder das „El Greco-Blau“. Auch ein langes Künstlerleben geht irgendwann zu Ende. Picasso starb mit 91 Jahren am 8.4.1973 in Mougins und wurde begraben im Garten des Schlosses Vauvenargues bei Aix-en-Provence.
Natürlich war nach dem Vortrag immer noch längst nicht alles gesagt, wie könnte es auch nach diesem Leben voller Kreativität, seiner Vielzahl an Stilen, Techniken, Experimenten und Veränderungen. Aber der Abend bot so viele Inspirationen, sich weiterhin mit dem Leben von Pablo Picasso auseinanderzusetzen (bh).